„Viele erfahren erstmals Wertschätzung“

Artikel der Backnanger Kreiszeitung vom 27.04.2017

AV dual: Schulversuch mit Potenzial – Chef der SPD-Landtagsfraktion informiert sich am Berufsschulzentrum Backnang

„Ein Segen“, wertet Schulleiterin Dr. Isolde Fleuchaus. „Bei den Lehrern brennt die Flamme für ihre Arbeit“, sagt der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Andreas Stoch. Die Rede ist vom Schulversuch AV dual. Der ehemalige baden-württembergische Kultusminister informierte sich gestern am beruflichen Schulzentrum über die duale Berufsvorbereitung, die schwächeren Schülern eine Brücke ins Berufsleben bauen soll.

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Von Peter Wark

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BACKNANG. Dass der seinerzeitige Minister für Kultus, Jugend und Sport sich von dem Erfolg von AV dual überzeugt gibt, ist kein Wunder. Schließlich wurde der Schulversuch von ihm in der alten, grün-roten Landesregierung angestoßen und wird jetzt von Grün-Schwarz weitergeführt.

Uneingeschränkte Zustimmung zu AV dual gibt es aber auch von den Praktikern. Für die Schulleiterin ist der Schulversuch „einfach top“. Die Pädagogen in den Klassenzimmern sehen das genauso. „Hier lebt es“, sagt beispielsweise Lehrerin Susanne Gropp und der Blick in das Klassenzimmer bestätigt das. Leben bedeutet in diesem Fall nicht überdrehte und lautstarke Schüler, sondern lebhaftes gemeinsames Arbeiten in Gruppen. Der Beobachter meint, eine entspannte und doch konzentrierte Atmosphäre wahrzunehmen.

„Die Schüler strahlen sehr viel Positives aus“, erkennt auch der SPD-Fraktionschef, der an diesem Mittwoch auf Einladung seines Fraktionskollegen Gernot Gruber an der Schule in Backnang weilt und sich dafür richtig Zeit nimmt.

Und die Lehrer scheinen wirklich für ihre Aufgabe, für ihre Schüler zu brennen, wie im persönlichen Gespräch mit jedem Einzelnen von ihnen deutlich wird. „Ich gehöre hierher“, gibt beispielsweise Susanne Gropp, die von ihrer Ausbildung her eigentlich Gymnasiallehrerin ist, ihre Gefühlslage wieder.

Schüler mit Förderbedarf sollen fit für die Ausbildung gemacht werden

AV dual ist ein Schulversuch, der im Rems-Murr-Kreis und einigen anderen Regionen des Landes 2014/15 gestartet wurde. Zielgruppe von AV dual sind schwächere Schüler im Alter von 15 bis knapp 20 Jahren, die sich auf der Regelschule schwergetan haben und zusätzlichen Förderbedarf haben. Sie werden hier in Lerngruppen gefördert.

Derzeit werden am beruflichen Schulzentrum 154 Schüler in acht Lerngruppen unterrichtet. Lernprozesse werden individualisiert. Dazu gehört, dass es drei Lernniveaus gibt: A für Schüler ohne Hauptschulabschluss; B für Schüler mit Hauptschulabschluss; C für Schüler, die den Realschulabschluss anstreben. Der Unterricht ist handlungsorientiert und projektbasiert. So sollen die jungen Leute unter anderem praktische Grundfertigkeiten in einem Berufsfeld ebenso erlernen wie berufliches Vorwissen.

Wesentlicher Bestandteil zur Ganztagsklasse sind Betriebspraktika. Hier lernen die jungen Leute die Realität des Arbeitsalltags kennen und bekommen häufig zum ersten Mal überhaupt eine Ahnung davon, welche berufliche Möglichkeiten sie überhaupt haben.

Übergeordnetes Ziel ist es, den jungen Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen und sie in eine berufliche Ausbildung zu vermittlen. Das hat im vergangenen Jahr bei 62 der 153 AV dual-Schüler in Backnang geklappt. „Die Betriebe ziehen super mit“, freut sich Isolde Fleuchaus. Mit im Boot sind unter anderem die IHK und die Handwerkskammer.

Wer besucht eine AV dual-Klasse? Die einen haben Lernprobleme, andere bringen gebrochene Biografien mit, leben in einem schwierigen familiären oder sozialen Umfeld, oder haben einfach nur Sprachprobleme.

Daher rührt auch, dass sie Stigmatisierung am eigenen Leib erlebt haben. Genau das gibt es in den Lerngruppen nicht. Nicht wenige erfahren bei AV dual zum ersten Mal in ihrer Schulkarriere so etwas wie Wertschätzung, berichten die Lehrkräfte. Deshalb versuchen sie auch, die Botschaft zu vermitteln, dass jeder wichtig und wertvoll ist.

Viele Jugendliche hätten in einer AV dual-Lerngruppe zum ersten Mal das Gefühl, in der Schule überhaupt ernst genommen zu werden, so die Erfahrung von Lehrer Frank Kaiser. Er nennt ein simples, aber vielleicht gerade deshalb bezeichnendes Beispiel. Neulich habe ein Schüler zu ihm gesagt, es sei das erste Mal, dass er von einem Lehrer mit Namen angesprochen werde.

Mit den Lernerfolgen wachsen Motivation und Selbstwertgefühl

Fördern und fordern – wenn man viel in die Schüler investiert, kommt auch viel zurück, wissen die Pädagogen. Sie machen immer wieder ein stärkeres Selbstbewusstsein und gestiegenes Selbstwertgefühl durch die Lernerfolge bei den jungen Leuten aus. Das wiederum führt zu gesteigerter Motivation.

Die große Durchlässigkeit in alle Richtungen ist ein Kennzeichen des Schulversuchs. Schüler können auch mitten im Schuljahr in eine Ausbildung wechseln. Überhaupt wird Flexibilität bei AV dual großgeschrieben. Hier klappt das, doch in anderen Schularten sei eine Flexibilisierung bisweilen schwer zu vermitteln, so Fleuchaus am Rande der gestrigen Veranstaltung.

Veränderung gefällt nicht jedem, so die Erfahrung der Schulleitung Andreas Stoch, ganz Politiker, formuliert es etwas diplomatischer: Man müsse in den Schulen ganz allgemein „das Visier öffnen – auch das der Lehrer“.

Es gelte, sich einer veränderten Schulrealität zu stellen. „Schüler und Lehrer ins Klassenzimmer, Tür zu!“ gehe nicht mehr. Zu den Zukunftsfragen gehöre auch die Überlegung, ob man nicht vom Deputatmodell wegkommen müsse.

Zurück zu AV dual am Berufsschulzentrum: Die engagierten Lehrer verstehen sich als echtes Team. Das drückt sich auch darin aus, wie sie sich und den Schulalltag organisieren. Alles gut also? Nein, leider nicht immer und nicht für jeden einzelnen Schüler. Denn „es gibt auch die, die nicht am Ziel ankommen“, muss Kaiser einräumen.