Zur Sprachprüfung ein Fahrrad

Artikel der Backnanger Kreiszeitung vom 19.05.2017

Bürgerpreis-Kandidaten 2017: Gewerbliche Schule Backnang lehrt Deutsch in der Werkstatt

Die Schüler der VABO-Klassen der Gewerblichen Schule Backnang haben ein besonderes Programm: Sie lernen Deutsch beim gemeinsamen Arbeiten in der Fahrradwerkstatt. Ohne ehrenamtliches Engagement wäre dieses Projekt nicht umsetzbar.


Von Sarah Schwellinger


 

BACKNANG. „Nur noch ein paar Kleinigkeiten. Die Bremsen müssen eingestellt und das Licht repariert werden“, sagt Günter Meyer. Dann klingelt er zweimal laut und klebt ein gelbes Band um den Lenker. „Herr Meyer ist immer ganz happy, wenn ein Fahrrad fertig ist“, kommentiert der Integrationsbeauftragte der evangelischen Kirche, Tobias Rössler.

In der Gewerblichen Schule in Backnang wird geschafft, gewerkt und auf Vordermann gebracht: Die VABO-Klassen (Vorbereitungsjahr Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse) lernen Deutsch nicht nur im Unterricht, sondern auch in der praktischen Anwendung. In der Werkstatt werden Fahrräder fahrbereit und verkehrssicher gemacht. „Es gab vor einiger Zeit die Idee, man müsste mit den Klassen etwas Praktisches machen“, sagt Isolde Fleuchaus, Schulleiterin der Gewerblichen Schule. Die Idee zur Fahrradwerkstatt nahm ihren Lauf. Dort verbringen die VABO-Klassen ein Drittel des Schuljahres. Ein Drittel werden sie im Arbeiten mit Metall geschult, ein Drittel widmet sich Ethikunterricht.

Tobias Rössler, der das Projekt schulisch betreut und organisiert, zeigt auf einen Container: „Dort lagern wir die fertigen Fahrräder, die am Ende des Schuljahres dann verteilt werden.“ Denn wer regelmäßig am Unterricht teilnimmt und mitarbeitet, darf am Ende sein Fahrrad mit nach Hause nehmen. „So ein Fahrrad bedeutet auch ein Stück weit Freiheit und Würde. Es ist toll, den Schülern Eigenständigkeit zurückzugeben.“ Denn manche der Schüler wohnen nicht in der Stadt, sondern in kleineren Ortschaften. „Auf diese Räume sind die Jugendlichen dann beschränkt“, so Rössler.

Die Fahrräder werden der Schule immer wieder von Leuten gebracht, die noch alte Räder haben. „Wir haben vor zwei Jahren eine Anzeige in der Zeitung geschaltet, auch die Stadt hatte es auf ihrer Homepage stehen“, so Rössler. Seitdem läuft das Projekt. Die Ausgaben halten sich gering, alle Räder werden bis auf die Ersatzteile ausgeschlachtet. Schülerin Narges hat ein eigenes Fahrrad mitgebracht, es selbst repariert und wieder fahrbereit mit nach Hause genommen. Stolz fährt sie damit durch Kirchenkirnberg. „Ich bin froh über mein Fahrrad und nutze es häufig“, sagt sie. „Idealfall“, kommentiert Rössler.

„Viele Mädchen sind es in den Klassen noch nicht“, bedauert Lehrerin Daniela Koch, die für die drei VABO-Klassen der Gewerblichen Schule zuständig ist. Vor allem bei zurückhaltenden Mädchen beobachtet Koch, wie sie auftauen und an Selbstbewusstsein gewinnen. Den Schülern wird mehr als Handwerk und Sprache in den wöchentlichen Treffen vermittelt. „Sie bekommen hier auch interkulturelle Werte mit.“ Im Theorieunterricht lernen die Schüler die Bedeutung der Straßenschilder, Verkehrsregeln, das richtige Verhalten im Straßenverkehr.

Doch Rössler stemmt die Fahrradwerkstatt nicht allein. Nur durch drei ehrenamtliche Helfer, Karl-Heinz Bartelt, Günter Meyer und Günter Mahler, kann das Projekt bestehen, das macht Schulleiterin Fleuchaus deutlich: „Für uns als Schule gibt es ohne die Ehrenamtlichen keine Möglichkeit, den jungen Menschen diese Motivation zu vermitteln.“ Günter Meyer ist seit vielen Jahren begeisterter Radler und packt gerne mit an: „Ich bin jetzt Rentner und will nicht tatenlos zu Hause sitzen, ich will mich engagieren.“ Daniela Koch beschreibt die Situation an der Backnanger Schule als „privilegiert“, an anderen Schulen sei so eine praktische Lernweise nicht machbar.

Das gemeinsame Arbeiten in kleinen Gruppen bringt soziale Kompetenzen mit sich und kann für die spätere Schul- oder Berufslaufbahn nur Vorteile bringen, ist sich Koch sicher.

Am Ende bekommen die eifrigen und engagierten Schüler, die aus Syrien, Afghanistan, Gambia, Iran, Irak und dem europäischen Ausland kommen, nicht nur ein selbst repariertes Fahrrad, sondern auch ein Zertifikat und eine hoffentlich gute Sprachprüfung. „Ich sage den Schülern immer, dass sie das Zertifikat allen Bewerbungen beilegen. Von verschiedenen Betrieben habe ich gehört, dass das gut ankommt und viel wert ist“, so Koch. Doch oft ist an den Nachmittagen auch Geduld aller Beteiligten gefragt. „Es kann schon frustrierend sein, wenn dann nur zwei, drei Leute dastehen“, so Günter Meyer. Aber für viele der 15- bis 21-Jährigen sei die Motivation, ein Fahrrad zu bekommen, Antrieb genug.

„Bekommen Sie denn ein Danke, wenn Sie die Räder verteilen?“, fragt Fleuchaus an das Team. „Das ist gar nicht das, was am Ende so prägend ist“, erklärt Rössler. Mehr zählt der entgegengebrachte Respekt, die Zuneigung. „Ein Schüler kam auf mich zu und begrüßte mich, wie es die Jugendlichen machen. Er streckte mir die Faust hin.“ Die echte Gettofaust empfand Mahler als Zeichen von Dankbarkeit und Respekt. Mit Augenzwinkern.

 

 

Günter Meyer (rechts) packt als Ehrenamtlicher in der Fahrradwerkstatt der Gewerblichen Schule Backnang mit an. Foto: A. Becher

 

 

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